Zuletzt aktualisiert 5. Februar 2019
Francis Fukuyama ist zweifellos der einflussreichste Politologe der USA, vielleicht der ganzen Welt. 1992 veröffentlichte er ein Buch, das liberalen US-Amerikanern und europäischen Gutmenschen aus der Seele sprach: „Das Ende der Geschichte“. Nach dem Untergang des Kommunismus in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten stehe der globale Endsieg des westlichen Liberalismus unmittelbar bevor, prophezeite der damals 40-jährige Absolvent der Elite-Universität Harvard, der in Stanford politische Wissenschaften lehrt. Jetzt legt der mittlerweile 66 Jahre alte Sohn japanischer Einwanderer ein neues Buch vor, das seine Erkenntnisse von 1992 revidiert: „Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“ (auf Deutsch erschienen bei Hoffmann & Campe).
Nach wie vor hängt Fukuyama einem klassischen liberalistischen Weltbild an, das drei Prinzipien verteidigt: Die Grundrechte des Bürgers gegen den Staat, das Rechtsstaats-Prinzip sowie die freie Marktwirtschaft. Dabei übersieht er, dass in der Welt des globalisierten, entwurzelten Kapitalismus das dritte Prinzip, die freie Marktwirtschaft, längst die beiden anderen ausgehebelt hat. Folgerichtig hat er keinerlei Verständnis für den politischen Erfolg differenzialistischer Strömungen in Europa und den USA, an deren Spitze – zu seinem Entsetzen – Donald Trump ins Amt des US-Präsidenten gewählt worden ist. Also beklagt er eine neue Bedrohung „von innen“, aus der eigenen Bevölkerung, die sich erdreistet, bei Wahlen falsch abzustimmen und „rechte“ politische Akteure in die Regierungsverantwortung zu stellen.
Fukuyamas Analyse enthält sieben bemerkenswerte Thesen:
These 1: Für die politische „Linke“ sind Einwanderer das neue Proletariat. Die „Linke“ benötigt immer eine Klientel, zu deren Vormund sie sich aufschwingen kann. Nachdem die vollständige Verarmung der Arbeiterklasse ausgeblieben ist, nehmen im „linken“ Weltbild nunmehr Zuwanderer die Rolle der Pauperisierten ein.
These 2: Politik und Medien haben es mit der „Korrektheit“ übertrieben. Die ständig mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Anforderung, dieses oder jenes öffentlich nicht äußern zu dürfen, habe in der europäischen wie auch der US-amerikanischen Bevölkerung Trotzreaktionen hervorgerufen.
These 3: Das westlich-liberalistische politische Modell erlebt eine Rezession. Ihm droht der Zusammenbruch.
These 4: Die globalisierte Welt bringt furchterregende, schnelle Veränderungen mit sich. Viele Menschen sehnen sich aber nach Stabilität und Sicherheit.
These 5: „Rechte Demagogen“ haben die Ängste der Bevölkerung erfolgreich aufgegriffen und eine Gegenbewegung zum westlichen Liberalismus politisch wirksam werden lassen.
These 6: Die politische Debattenkultur verschwindet. „Rechts“ und „Links“ stehen sich unversöhnlich gegenüber, und die politische Auseinandersetzung radikalisiert sich.
These 7: Die Wiederkehr des nationalen Elements in die Politik ist unaufhaltsam. Deshalb gelte es, dieses Element nicht schroff abzulehnen, sondern es durch Verfassungspatriotismus und Bindung an das Gebot der Rechtsstaatlichkeit einzuhegen.
Letzteres läuft auf eine Kapitulation des radikalen Liberalismus hinaus. Und wenn es die Träger der nationalen politischen Veränderung verstehen, ihr Anliegen mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Freiheit zu verbinden, kann daraus etwas wirklich Neues und langfristig Wirkungsmächtiges entstehen: Eine Welt freier Völker mit souveränen Kulturen, zu deren historischem Erbe der gemeinsame Sieg über den Moloch der materialistisch-liberalistischen Herrschaft im 21. Jahrhundert gehören wird.