Zuletzt aktualisiert 7. Mai 2021
Gerade eben noch sah sich der Sky-Sportkommentator und ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo in einer Opferrolle. Hatte ihn doch Jens Lehmann als „Quotenschwarzen“ bezeichnet, woraufhin ein mediales Gewitter über den ehemaligen Torwart der deutschen Nationalelf hereingebrochen war, das Aogo ausgelöst hatte, indem er eine private WhatsApp-Äußerung von Lehmann öffentlich machte. Jetzt aber wendet sich das Blatt.
Dennis Aogo steht nun selbst am Pranger der Gut- und Bessermenschen, weil er sich auf Sky extrem unkorrekt geäußert hat. Er lobte Angriffstaktiken der Spieler von Manchester City und sagte über die Engländer:
„Es ist einfach unglaublich schwer, sie zu verteidigen. Weil, davon gehe ich aus, sie das trainieren bis zum Vergasen.“
Diese Steilvorlage lässt sich die „Bild“-Zeitung selbstverständlich nicht entgehen und erläutert, warum diese Formulierung den 34-jährigen Fußballpensionär Aogo disqualifiziert:
„Bis zum Vergasen, bis zur Vergasung: Der Ausdruck wurde in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg gebräuchlich, in dem Giftgas erstmals systematisch als Kampfstoff eingesetzt worden war und Zehntausende Todesopfer forderte. Seit dem Zweiten Weltkrieg und der Ermordung von Millionen Menschen in Gaskammern (‚Vergasung‘) gilt die Formulierung als tabu.“
Damit war der nächste „Shitstorm“ losgetreten, diesmal gegen Aogo. Was der Auflage von „Bild“ sicher nicht schaden wird.
Aogo wurde im Jahr 1987 als Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter in Karlsruhe geboren. Seine Muttersprache ist Deutsch, und dass man etwas üben kann „bis zum Vergasen“ bzw. sprachlich geläufiger „bis zur Vergasung“, dürfte er im Rahmen seiner fußballerischen Ausbildung mehr als einmal zu hören bekommen haben. Also plauderte er aus, was ihm auf der Zunge lag – offenbar ohne über die Folgen nachzudenken.
Fazit: Eine dunkle Hautfarbe schützt nicht vor rhetorischen Ausrutschern. Umgekehrt kann auch ein alter weißer Mann, der sprachlich entgleist ist, mit gutem Benehmen punkten: DFB-Chef Fritz Keller entschuldigt sich mit einem schönen Blumenstrauß und einer großen Kiste voller Weinflaschen bei Charlotte Knoblauch dafür, dass er seinen Stellvertreter Rainer Koch mit Roland Freisler verglichen hatte, dem Präsidenten des Volksgerichtshofs im Zweiten Weltkrieg. Dabei lauerte ihm ein „Bild“-Fotograf auf. Das macht zwar Sophie Scholl nicht wieder lebendig, ist aber eine schöne Geste und dürfte den erfolgreichen Winzer Fritz Keller eher nervlich als finanziell belastet haben.
Ist es nicht schön, dass wir hier in Deutschland gerade offenbar keine andere Sorgen haben als das Dritte Reich mit allem drum und dran? Und ist es nicht bemerkenswert, dass die Boulevardpresse damit auch pünktlich zum 76. Jahrestag des Kriegsendes immer noch Auflage machen kann?
Bild oben: Gestern noch moralisch obenauf, heute schon rhetorisch entgleist: Dennis Aogo – Foto: CC-Lizenz, Sven Mandel