Zuletzt aktualisiert 23. Dezember 2021
Ein rechtskräftig verurteilter Mörder hat in Münster seine Fußfessel abgelegt und ist geflüchtet – kurz bevor er seine Haft hätte antreten müssen. Die Polizei veröffentlichte im Rahmen ihrer Fahndung am Mittwochnachmittag Fotos von dem Mann und bat um Hinweise.
Der 56-Jährige war im Januar dieses Jahres 27 Jahre nach dem gewaltsamen Tod der damals 16-jährigen Nicole Schalla vom Landgericht Dortmund zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Weil die Justiz keine Fluchtgefahr sah und das Urteil noch nicht rechtskräftig war, blieb der Deutsche nach dem Schuldspruch frei und bekam eine Fußfessel.
Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, wurde das Urteil nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshof vor wenigen Tagen rechtskräftig. Am Dienstag sei die Staatsanwaltschaft darüber informiert worden, woraufhin sie die Haft vollstrecken lassen wollte. Nach Polizeiangaben hat der 56-Jährige am Dienstagabend um 20.10 Uhr in Münster seine Fußfessel abgelegt und sein Handy zurückgelassen. In dem Fahndungsaufruf heißt es: «Die Bevölkerung wird um Mithilfe bei der Suche nach dem Flüchtigen gebeten.»
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen wurde das mutmaßliche Fluchtfahrzeug des Verdächtigen und seiner Lebensgefährtin im gesamten Schengenraum zur Fahndung ausgeschrieben. Gegen die Frau wird demnach auch ermittelt, weil sie ihrem Lebensgefährten bei der Flucht geholfen haben soll. Dem Vernehmen nach prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie auch gegen die Frau einen Haftbefehl beantragt.
Anwältin Arabella Pooth, die Nicole Schallas Eltern als Nebenkläger vor Gericht vertreten hatte, sagte am Mittwoch der dpa: «Es war klar, dass der Mann sich seiner Haftstrafe nicht stellen würde.» Dass er seinerzeit nach dem Prozess zunächst auf freiem Fuß geblieben war, sei rechtlich zwar möglich gewesen, aber aus ihrer Sicht falsch. Dass der Mann nun verschwunden sei, sei für die Eltern des Opfers «eine Katastrophe» und nicht zu begreifen.
Sein Verteidiger Udo Vetter bestätigte am Mittwoch, dass auch er die Entscheidung des Bundesgerichtshofes erhalte habe. Mehr wisse er derzeit nicht. Im Prozess hatte der Anwalt stets auf die schwachen Indizien hingewiesen. Der Gerechtigkeit sei nicht genüge getan, wenn jemand verurteilt werde. «Es muss auch der Richtige verurteilt werden», so Vetter.
Der heute verurteilte Mörder war 2018 nach einer Neuauswertung von DNA-Spuren festgenommen worden. Dabei ging es um eine Hautschuppe, die auf der Leiche von Nicole Schalla gefunden worden war. Das 16-jährige Opfer war 1993 in einem Dortmunder Vorort überfallen und erwürgt worden – aus sexuellen Motiven. Ein erster Prozess war wegen einer kranken Richterin geplatzt. Nach dem Urteil hatte das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass der Verurteilte aus der überlangen Untersuchungshaft bis zu einem rechtskräftigen Urteil entlassen werden musste. Aus Sicht des OLG hatte sich das Landgericht zwischen den beiden Prozessen zu viel Zeit gelassen. Das OLG sah keine Fluchtgefahr. Auf Antrag der Polizei in Münster hatte das Amtsgericht Münster im April 2021 das Tragen einer Fußfessel für den Deutschen mit Wohnsitz in Münster angeordnet.