Zuletzt aktualisiert 12. Oktober 2024
Seit Monaten steht es militärisch nicht gut um die Ukraine. Die Lieferung neuer US-Waffensysteme, insbesondere von F16-Kampfflugzeugen, brachte im Kampf gegen Russland ebenso wenig eine militärische Wende wie das überraschende Vordringen ukrainischer Streitkräfte auf russisches Territorium im Raum Kursk.
Jetzt reist Volodymyr Selenskyj durch die westeuropäischen Großstätte und spricht von neuen Plänen für den Winter. Und davon, dass er sich Friedensverhandlungen mit Russland vorstellen kann. Was hatte er in London, Paris, Rom und Berlin anzubieten?
Auf „X“ orakelte der ukrainische Präsident: „Im Oktober, November und Dezember haben wir eine echte Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen.“ Auf militärische Stärke sind die Chancen, die er sieht, offenbar nicht begründet. Ukrainische Truppen ziehen sich vor den Russen auf breiter Front zurück. In der Luft gelingen den Ukrainern vereinzelt Erfolge gegen russische Waffen- und Treibstofflager, aber am Boden können sie ihre zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den Russen nicht mehr durch fintenreiche taktische Manöver ausgleichen.
Wer in dieser Lage von Frieden spricht, muss russische Gebietsansprüche anerkennen. Ob Selenskyj ein solches Anerkenntnis vor der eigenen Bevölkerung politisch überleben würde, ist zweifelhaft, aber möglicherweise auch nicht mehr bedeutend: Nach einer sechsstelligen Zahl an Toten und umfassenden Kriegsschäden in vielen ukrainischen Städten geht es für die Ukrainer einschließlich ihrer Führung nur noch um das physische, nicht aber um das politische Überleben.
Mit einem Friedensschluss rückt eine Aufnahme der Rest-Ukraine in die EU näher. Ihr hat Wladimir Putin bereits öffentlich zugestimmt. Damit täte sich ein weiteres Milliardengrab für deutsche Steuergelder auf.
Selenskyj könnte dann auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur verzichten und ein anderer an seine Stelle treten. Große Handlungsspielräume hätte sein Nachfolger nicht. Die Existenz der Nachkriegs-Ukraine hängt am Tropf des Westens, so wie jetzt die militärische Handlungsfähigkeit Kiews von westlichen Waffenlieferungen abhängig ist.
Auch, wenn ein solcher Friedensschluss, wie er sich jetzt abzeichnet, niemanden voll zufriedenstellen kann, ist er besser als die Fortsetzung eines Kriegs, den Kiew und der Westen nicht gewinnen können. Hier gilt, was der Volksmund sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Jeder weitere Kriegstag kostet Menschenleben. Wer in einer militärisch aussichtslosen Lage den Friedensschluss verschleppt, handelt verantwortungslos. Klar ist damit auch, dass all jene politischen Akteure recht behalten werden, die schon im vergangenen Jahr Friedensverhandlungen gefordert haben. Das war nicht die politische Klasse in Berlin, sondern die Opposition von rechts (AfD) und links (BSW), die der Putin-Knechtschaft verdächtigt worden ist für Friedensvorschläge, die jetzt ganz offenbar allmählich konsensfähig werden.