Zuletzt aktualisiert 27. Februar 2021
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein aufgehoben, das grünes Licht für die Abschiebung eines drogenabhängigen Afghanen in seine Heimat gegeben hatte. Abschiebungen nach Afghanistan waren immer wieder Gegenstand politischer und juristischer Auseinandersetzungen, die oft über Jahre durch alle Instanzen gingen. Auch diesmal schlossen die Richter in Karlsruhe die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers in das Krisenland nicht völlig aus, stellten aber an eine diesbezügliche verwaltungsgerichtliche Entscheidung hohe Anforderungen, die sie im schleswig-holsteinischen Fall nicht als erfüllt ansahen.
Die „Welt“ fasst zusammen, das Landesgericht „habe es in dem Fall versäumt, sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie in Afghanistan zu befassen“. Das trifft es nicht vollständig. Die Verfassungsrichter führen vielmehr in ihrer Entscheidung Az. 2 BvQ 8/21 vom 9. Februar 2021, veröffentlich am 26. Februar 2021, das Erfordernis aus, im Einzelfall zu prüfen, ob dem Ausländer in demjenigen Land, in das er abgeschoben werden soll, eine erhebliche Gefahr u.a. für Leib, Leben oder Freiheit droht:
„Hier bestehen erhebliche Zweifel, ob das Verwaltungsgericht dieser Verpflichtung im angefochtenen Beschluss entsprochen hat. Denn es beschäftigt sich nicht damit, wie sich die COVID-19-Pandemie auf das afghanische Gesundheitssystem auswirkt, auf das es den Antragsteller bezüglich seiner Drogen- und Substitutionstherapie verweist. Die Entscheidung enthält darüber hinaus keinerlei Ausführungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan; die aktuelle Situation wird lediglich indirekt durch einen Hinweis auf die Möglichkeit von ‚Corona-Beihilfen‘ angesprochen. Das Verwaltungsgericht setzt sich jedoch nicht damit auseinander, ob es dem Antragsteller unter den aktuellen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen in Afghanistan selbst nach erfolgreicher Durchführung einer Drogen- und Substitutionstherapie überhaupt möglich sein wird, sich dauerhaft durch eigene Arbeit ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Soweit das Verwaltungsgericht den Antragsteller für den Fall der fehlenden Erwerbsfähigkeit auf sein familiäres Netzwerk in Afghanistan verweist, fehlt es ebenfalls an Ausführungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19- Pandemie auf die afghanische Bevölkerung. Das Verwaltungsgericht hat es versäumt, sich mit den aktuellen – vom Antragsteller in das Verfahren eingebrachten – Erkenntnissen zur aktuellen Lebenssituation in Afghanistan zu befassen. Der Beschluss lässt eine Auseinandersetzung mit dem möglicherweise bereits erfolgten Zusammenbruch der wirtschaftlichen Grundlage für arbeitsfähige Rückkehrer ohne realisierbare Anbindung an Familie oder andere Netzwerke – informeller Arbeitsmarkt für Ungelernte und Angelernte – nicht ansatzweise erkennen.
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht sich nicht damit auseinandergesetzt, ob es dem Antragsteller praktisch überhaupt möglich sein wird, nach seiner Ankunft in Kabul auf sein familiäres Netzwerk zuzugreifen. Da für den Antragsteller im Bundesgebiet zuletzt eine Betreuung unter anderem für die Bereiche Vermögens- und Gesundheitssorge eingerichtet war, liegt es nahe, dass er für eine geordnete Lebensführung einer persönlichen Unterstützung durch Familienangehörige bedarf. In diesem Zusammenhang wäre zu klären gewesen, wo er eine solche erhalten kann und ob es ihm möglich sein wird, diesen Ort gefahrlos zu erreichen.“
Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein muss nun nachsitzen und die geforderten Nachweise erbringen. Bis dahin bleibt der drogenabhängige Afghane ein Gast unseres Landes, für dessen Lebensunterhalt und medizinische Therapie der deutsche Steuerzahler aufkommt.