Zuletzt aktualisiert 16. April 2021
Der „Focus“ hat ein aufschlussreiches Interview mit dem Migrationsforscher Gerhard Knaus geführt, den das Magazin als „Architekt des ersten EU-Türkei-Deals“ vorstellt. In dem Gespräch gesteht der Mitbegründer einer als liberal geltenden Denkfabrik in Sarajewo, die Migrationskonzepte entwickelt, in bemerkenswerter Offenheit das Scheitern des EU-Abkommens zur Aufnahme von Flüchtlingen mit der Türkei ein. Er empfiehlt Deutschland und Frankreich, jährlich 30.000 Asylbewerber aus den Lagern in der Türkei und in Südeuropa aufzunehmen.
Diese Stellungnahme ist bemerkenswert, weil sie andeutet, dass der Berliner Politikbetrieb trotz aller Rückschläge offenbar unbeirrt an seiner Haltung gegenüber Recep Erdogan und der türkischen Regierung festhalten will, einer Haltung, die im Kern zweierlei vorsieht: Deutsches Geld für die Türkei und türkische Asylbewerber für Deutschland. Dieser „Deal“ war bislang nur für Ankara politisch erfolgreich und ein gutes Geschäft.
Im März 2016 folgten Berlin und Brüssel den Anregungen aus der Migrationsschule des Gerhard Knaus, der in Oxford, Brüssel und Bologna studiert hat und als Kosmopolit der alten Schule gelten kann. Menschen wie er sind in der ganzen Welt zu Hause, und viele von ihnen belächeln jene Mehrheit der Weltbevölkerung, die sich ihren regionalen Wurzeln verbunden und verpflichte fühlt. Von der Realität belehren lassen sich diese im Dünkel intellektueller und moralischer Überlegenheit befangenen politischen Theoretiker nicht, wie auch diese Äußerung des Herrn Knaus belegt:
„Kein Land der Welt hat im letzten Jahrzehnt weltweit so viele Flüchtlinge aufgenommen wie die Türkei. Diesen zu helfen, ist humanitär richtig und im Interesse der EU. Doch das 2016 zugesagte Geld ist alles schon verplant und Ankara hat die EU-Türkei-Erklärung vor einem Jahr ausgesetzt und nimmt auch niemanden mehr von den Inseln zurück.
Für eine Politik der Abschreckung durch inhumane Hotspots auf Inseln und Push-Backs braucht die EU keine Partner, da hat die AfD recht. Sie bricht damit allerdings EU-Recht und verletzt die Menschenwürde Zehntausender. Eine Alternative dazu wäre eine erneuerte EU-Türkei Erklärung 2.0. Und diese dann auch umzusetzen.“
Foto oben: Merkel in Verhandlungen mit Erdogan 2018, CC-Lizenz kremlin.ru