Zuletzt aktualisiert 8. September 2021
Brand- oder Farbanschläge auf Häuser und Fahrzeuge, gewalttätiger Protest und Angriffe auf Polizei oder Rechte: Die linksradikale Szene in Sachsen wird nach Beobachtung des Verfassungsschutzes seit Jahren immer gewalttätiger. Es gehe nicht mehr nur um Farbbeutel und Graffiti an Häusern, sondern schwere Sachbeschädigung durch Brand und auch körperliche Gewalt, sagte eine Sprecherin des Landesamtes (LfV) vor dem ersten Linksextremismus-Prozess von gehobener Bedeutung im Freistaat. In der Verhandlung geht es um brutale Überfälle auf Personen aus der rechten Szene.
Auch das Bundesamt beobachtet «eine neue Qualität der gewalttätigen Übergriffe» im Linksextremismus, sagte Präsident Thomas Haldenwang dem «Spiegel». Es seien mehrere klandestine Kleingruppen entstanden, die sich vom Rest der Szene abschotten und gezielt politische Gegner angriffen. «Hemmschwellen sind gefallen, und teilweise wird der Tod der Opfer billigend in Kauf genommen», so Haldenwang.
Eine Frau und drei Männer aus Leipzig und Berlin müssen sich ab Mittwoch vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft den Deutschen brutale Überfälle auf Personen aus der rechten Szene in Sachsen und Thüringen zwischen 2018 und 2020 vor. Dabei waren die Opfer erst ausgespäht und dann von mehreren Angreifern zusammengeschlagen worden. Für den Generalbundesanwalt ist Studentin Lina E. aus Leipzig die Anführerin einer militanten linksextremistischen Gruppe, die noch größer sein soll. Die 26-Jährige befindet sich seit zehn Monaten in Untersuchungshaft. Zwei Gleichaltrige aus Leipzig und Berlin sowie ein 36-Jähriger aus Leipzig sind auf freiem Fuß.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor sowie teils gefährliche Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruch und Sachbeschädigung. Der Linksradikalismus sei schwer zu fassen, sagte der Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums am Landeskriminalamt Sachsen (LKA), Dirk Münster. Bei diversen Straftaten der Vergangenheit, die der Szene zuordnet werden, konnten oft die Täter nicht gefunden werden. Das Vorgehen sei professionell, die Spurenlage nicht gerade üppig.
In Sachsen gibt es seit Ende 2019 neben der wiederbelebten Soko Rex auch eine Soko LinX. Die Dynamik bei Gewalttaten politisch motivierter linker Kriminalität nimmt laut Münster zu. Inzwischen gebe es drei Mal mehr linke als rechte Gewalt. Linksextremen Gewalttätern wurden 2020 im Freistaat 231 Straftaten zugeordnet, auf der rechten Gegenseite waren es 75 – Tendenz steigend. Das LfV beziffert die Szene in seinem Bericht 2019 – der neue wird erst Anfang Oktober veröffentlicht – auf 760 Personen, 415 gelten als gewaltbereit. Personenschäden bis zum Tod würden billigend in Kauf genommen, heißt es.
Die seit den 1990er Jahren vor allem im Leipziger Süden aktive linke Szene habe sich durch die Räumung von besetzten Häusern, den Neubau von Luxusimmobilien und steigenden Mieten in den letzten Jahren stark dynamisiert, sagte Tom Thieme, Professor für Gesellschaftspolitische Bildung an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Sie spreche von Freiräumen, meine aber im Grunde einen quasi rechtsfreien Raum, der sich der staatlichen Gewalt entzieht. «Man will von Rechtsextremen und Polizisten „befreite“ Viertel schaffen, hier verbinden sich die Aktionsfelder Antifaschismus und Antigentrifizierung», sagte Thieme. Zudem beförderten das hohe Maß an rechter Gewalt und die starke mediale Präsenz von Rechtsextremismus Reaktionen der linksextremen Szene. Thieme spricht von «Konfrontationsgewalt und Resonanzstraftaten», die Gewalt der einen Seite beziehe sich auf die andere, schaukele sich so zunehmend auf – in der Anzahl der Übergriffe und in der Intensität.
Schon die Festnahme von Lina E. löste Solidaritätsaktionen und Straftaten aus, bis zu Brandstiftungen an Fahrzeugen von Bundespolizei, Bundeswehr oder Unternehmen, sagte die LfV-Sprecherin. Die Behörde sieht auch während des Prozesses ein Risiko für linksextremistische Straf- und Gewalttaten, auch anderswo in Deutschland.