Zuletzt aktualisiert 11. Januar 2024
Normalerweise gilt in der Demokratie, dass möglicherweise Wahlen etwas verändern, nicht aber Demonstrationen. Illegale Proteste auf der Straße konnten das DDR-Regime 1989 zu Fall bringen, weil sie verboten waren. In der Demokratie sind sie zulässig, und deshalb verpufft im Regelfall ihre Wirkung.
In den 1980er Jahren gingen in Westdeutschland Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die Stationierung atomarer Kurzstreckenraketen der US-Amerikaner zu demonstrieren, die ausschließlich Ziele in Mittel- und Ostdeutschland erreichen konnten. Es galt, einen atomaren Massenmord am deutschen Volk zu verhindern, geplant von Strategen in Übersee, die glaubten, einen Atomkrieg auf Mitteleuropa begrenzen zu können.
Die Stimmung war aufgeheizt und die öffentliche Debatte verlief hitzig. Aber nach den Demonstrationen gingen alle Beteiligten brav nach Hause. Tags darauf nahmen sie ihre Arbeit wieder auf, das Leben lief normal weiter – und die US-Amerikaner stationierten ihre Raketen, als wäre nichts gewesen.
Diesmal ist die Situation anders, und auch die Folgen der Bauernproteste werden andere sein als diejenigen vorangegangener Demonstrationen. In mehr als 40 Jahren des politischen Einsatzes habe ich einen solchen Stimmungsumschwung, wie er sich in diesen Tagen vollzieht, noch nie erlebt.
Die Proteste heute sind international. Donald Trump hat sich öffentlich mit den deutschen Landwirten solidarisiert. Bauern und LKW-Fahrer aus vielen Nachbarländern nahmen an den Kundgebungen in Deutschland teil, und in den sozialen Netzwerken erreichen die Bilder der Proteste mehr als hundert Millionen Menschen.
Nicht eine bestimmte politische Partei steht nach den Ereignissen der letzten Tage mit dem Rücken zur Wand, sondern die gesamte politische Klasse. Eine wichtige Ursache für diese Entwicklung und die mit ihr einhergehende Polarisierung sind die pauschalen Beschimpfungen der Demonstranten durch Politiker und Medienmacher. Die sehen überall Rechtsextremisten und Umstürzler am Werk und stellen damit Demokratie und Rechtsstaat in Frage.
In dieser aufgeheizten Stimmung geifern die Medien los, AfD-Vertreter, Unternehmer und Neonazis hätten sich insgeheim getroffen, um Ausländer aus Deutschland zu vertreiben. Gemeint ist eine Besprechung von AfD-Abgeordneten mit dem Besitzer einer Bäckereikette und Martin Sellner von der „Identitäten Bewegung“, bei der u.a. Gesetzesvorhaben zur Zuwanderungspolitik besprochen worden sind. In den Massenmedien wird daraus ein Masterplan zur Ausländerjagd – und der Hass, den die Medien schüren, ist schrankenlos.
Nach dem 8. Januar 2024 ist die Grundstimmung in Deutschland eine andere als vorher. Die Gräben werden tiefer. Die Gesprächs- und Versöhnungsbereitschaft nimmt ab. Es mag von hier an noch einige Jahren dauern, bis die politische Klasse fällt. Aber die Zahl derjenigen Menschen, die der Obrigkeit vertrauen, wird jeden Tag kleiner. Und es ist klargeworden:
Die nächste politische Wende kommt. Auch in Deutschland. Und es ist niemand da, der sie noch abwenden kann. Alles, was die politische Klasse von jetzt an unternimmt, sind Rückzugsgefechte.